
Darlegungs- und Beweislast im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens in der Berufsunfähigkeitsversicherung
Autor:
Jürgen Wahl
Veröffentlich am:
20. Oktober 2025
Teilen:
Sind diese Voraussetzungen erfüllt, zahlt die Gesellschaft die im Vertrag vereinbarte Rente.
Die Tatsache, dass eine Versicherung einmal eine Berufsunfähigkeit anerkannt hat, bedeutet allerdings nicht automatisch, dass der Kunde oder die Kundin nun lebenslang einen Anspruch auf die vereinbarten Zahlungen hat. Vielmehr haben die Gesellschaften das Recht, den Gesundheitszustandes der Versicherten im Rahmen eines sogenannten Nachprüfungsverfahrens neu zu evaluieren.
Wenn die Assekuranz im Rahmen dieses Verfahrens zu dem Schluss kommt, dass der Kunde wieder in der Lage ist, seinem alten oder einem vergleichbaren Beruf nachzugehen, kann sie die Leistungen einstellen.
Klare Regelungen im Vertrag
Wenig überraschend ist es vor diesem Hintergrund, dass Versicherungsnehmer und Versicherung nicht immer einer Meinung sind, wenn es um den Fortbestand oder Nichtfortbestand einer bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit geht. So war es auch in einem Fall, den vor Kurzem das Oberlandesgericht (OLG) Jena zu entscheiden hatte (Az. 4 U 537/23).
Im konkreten Verfahren ging es um einen Mann, der nach Abschluss seiner Berufsausbildung als Dachdeckergeselle gearbeitet und eine BU-Versicherung abgeschlossen hatte.
Sein Vertrag sah vor, dass eine Berufsunfähigkeit dann nicht (mehr) vorliegen sollte, wenn die „versicherte Person eine andere, ihrer Ausbildung oder Erfahrung und bisherigen Lebensstellung entsprechende berufliche Tätigkeit ausübt“.
Als entsprechend wurde dabei nur eine solche Tätigkeit angesehen, „die keine deutlich geringeren Kenntnisse und Fähigkeiten erfordert und auch in ihrer Vergütung und der sozialen Stellung erheblich unter das Niveau der bislang ausgeübten beruflichen Tätigkeit absinkt.“
Vergleichbare Tätigkeiten?
Nachdem der Dachdecker in seinem ursprünglichen Beruf nicht mehr arbeiten konnte, erhielt er von seiner Versicherung ab dem 1.1. 2025 eine Berufsunfähigkeitsrente.
Gut zwei Jahre nach Beginn der Rentenzahlungen, am 20.02.2017 nahm der Versicherungsnehmer eine neue Tätigkeit als Mitarbeiter an. Er arbeitete nun im Lager, Versand, Messebau und Liefertouren sowie Reklamationsbearbeitungen. Ab dem 01.11.2019 verdingte sich der einstige Dachecker als Hausmeister. Sein Arbeitsvertrag in dieser Verwendung bescheinigte ihm eine Tätigkeit als „gewerblicher Mitarbeiter“. Zu seinen Aufgaben gehörte unter anderem das „Führen von Gabelstaplern, Bau- sowie Kehrmaschinen zu innerbetrieblichen Zwecken“.
Seine Haupttätigkeit in gesunden Tagen hatte er hingegen auf dem Dach erbracht. Dort prüfte er unter anderem Dachbalken, erbrachte Spengler- und Blecharbeiten und war zum Teil auch als eine Art Vorarbeiter Arbeitgeber tätig. In dieser Funktion verhandelte er mit Auftraggebern, bestellte Material und traf Absprachen mit anderen Baufirmen. Der Stundenlohn für diese Tätigkeiten lag zuletzt bei 12,20 Euro brutto.
Konkrete Verweisung eines Dachdeckergesellen
Als die Versicherung ein Nachprüfungsverfahren durchführte, befand sie, dass die Voraussetzungen für eine Berufsunfähigkeitsrente nicht mehr vorlagen und stellte die Zahlungen ein. Zur Begründung führte sie aus, dass die neue Tätigkeit als „Lagerist/Auslieferer“ der Ausbildung und Erfahrung bzw. den neu erworbenen Kenntnissen und Erfahrungen des Kunden entspreche. Die mit dem neuen Job einhergehende Einkommenseinbuße von 9,9 Prozent sei hinzunehmen, da durch die jetzt ausgeübte Tätigkeit dennoch die Lebensstellung gewahrt sei.
Der Versicherungsnehmer klagte hiergegen – und erlitt in der ersten Instanz eine Niederlage. Der Mann blieb jedoch hartnäckig und legte Rechtsmittel ein. Mit Erfolg
Zweite Instanz entscheidet zugunsten des Versicherungsnehmers
Das OLG Jena befand zu seinen Gunsten und entscheid, dass die konkrete Verweisung des Dachdeckergesellen unrechtmäßig war und der Versicherungsnehmer weiterhin Anspruch auf Fortzahlung der Berufsunfähigkeitsrente hatte.
Das Gericht begründete seine Entscheidung damit, dass eine Einstellungsmitteilung grundsätzlich einer nachvollziehbaren Begründung bedarf (BGH, Urt. IV ZR 228/91). Im konkreten Fall sei die Versicherung dieser Pflicht aber nicht ausreichend nachgekommen. Die bisherige Lebensstellung des früheren Dachdeckers sei mit keiner der beiden Verweisungstätigkeiten gewahrt worden. Die handwerklichen Fähigkeiten waren dem Versicherungsnehmer in den Verweisungstätigkeiten zwar nützlich, die vorherige handwerkliche Vielfalt und die Stellung als Vorarbeiter prägten jedoch die Tätigkeit als Dachdeckergeselle. Mithin benötigt man im Gegensatz zum Dachdeckergesellen für die beiden Verweisungstätigkeiten keine Berufsausbildung. Dieser Umstand war entscheidungserheblich.
Damit stand für das OLG fest, dass die Verweisungstätigkeiten insgesamt deutlich geringere Kenntnisse und Fähigkeiten verlangen und die konkrete Verweisung des Dachdeckergesellen demnach ausscheide.
Kommentar von Jürgen Wahl, Fachanwalt für Versicherungsrecht in Offenbach:

Die obige Entscheidung zeigt: Wenn eine Berufsunfähigkeitsversicherung nach einem Nachprüfungsverfahren die Leistungen einstellt, lohnt es sich, die Entscheidung durch einen versierten Rechtsanwalt überprüfen zu lassen und ggfls. vor Gericht zu bringen.













