Leistungsausschluss Alkoholklausel in der Unfallversicherung

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Als sich der Familienvater mittleren Alters an jenem Vatertag auf sein Fahrrad setzte, um nach einer feuchtfröhlichen Feier nach Hause zu radeln, war dies vermutlich nicht die beste Idee, wie er nur kurze Zeit später am eigenen Leib erfahren musste. Bereits der Aufstieg auf seinen Drahtesel gestaltete sich schwierig. Aus letztlich ungeklärter Ursache rutschte er von dem Pedal ab und stürzte schwer auf die Seite. Dabei zog er sich eine Ellenbogenluxation mit einer massiven Ruptur der Ellenbogengelenkkapsel sowie des Kollateralbandes des Ellenbogengelenks zu, infolgedessen es zur Absplitterung zahlreicher kleinerer knöcherner Fragmente kam. Es folgte ein mehrwöchiger stationärer Krankenhausaufenthalt mit zahlreichen, teils komplikationsbehafteten Operationen.

Als er aus der stationären Behandlung entlassen wurde, war sein Arm nicht mehr wie vorher. Er litt fortan unter Sensibilitätsstörungen und Lähmungserscheinungen des linken Oberarmes bis in die Hand. Auch Krankengymnastik, Elektrotherapie und Lymphdrainage führten nicht zu einer deutlichen Besserung der Beschwerden. Es blieben Einschränkungen beim Strecken und Beugen des Armes. Außerdem waren erhebliche Bewegungs- und Sensibilitätseinschränkungen des Handgelenks und teilweise der Finger aufgrund einer Verletzung der entsprechenden Nerven eingetreten, die möglicherweise Folge eines Kompartmentsyndroms waren, welches zu einer Nekrose der Unterarmmuskulatur geführt hatte. Es war klar, dass die Unfallfolgen zu einer dauerhaften Behinderung geführt hatten.

In dieser Situation besann sich der Versicherungsnehmer auf eine Unfallversicherung, die er vor vielen Jahren bei der AachenMünchener Versicherung AG abgeschlossen hatte. Er meldete dort den Versicherungsfall und begehrte Leistungen aus der Unfallversicherung.

Die AachenMünchener Versicherung berief sich jedoch auf die „Alkoholklausel“ in ihren Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen und lehnte die Auszahlung der Invaliditätsleistung an ihren Versicherungsnehmer ab.

Nach dieser Klausel sollten Unfälle durch Geistes- oder Bewusstseinsstörungen, auch soweit diese auf Trunkenheit beruhen (…) vom Versicherungsschutz ausgeschlossen sein.

Die Unfallversicherung vertrat die Auffassung, der Versicherungsschutz sei wegen der alkoholbedingten Bewusstseinsstörung ausgeschlossen. Dabei ging sie davon aus, dass zum Unfallzeitpunkt eine Blutalkoholkonzentration von 2,43 Promille vorgelegen haben müsse, sodass ihr Versicherungsnehmer zum Unfallzeitpunkt absolut fahruntüchtig gewesen sei.

Der Versicherungsnehmer, der gar nicht leugnete, zum Unfallzeitpunkt ein wenig beschwipst gewesen zu sein, sich aber noch als fahrtüchtig im Unfallzeitpunkt ansah, wollte sich nicht so billig von der Unfallversicherung abspeisen lassen. Schließlich sei der Unfall nicht auf den Alkoholgenuss zurückzuführen, sondern auf die rutschigen Pedale seines Fahrzeuges, den schottrigen und unebenen Untergrund, auf dem das Fahrzeug zum Zeitpunkt des Auf- bzw. unsanften Abstiegs stand, und letztlich durch ein momentanes Spontanversagen, welches ihn auch ohne Alkoholeinfluss hätte jederzeit treffen können. Er erhob daher Klage zum Landgericht Hanau.

Er wandte ein, vorliegend sei eben gerade keine Blutprobe nach forensischen Qualitätskriterien genommen worden. Die behandelnden Klinikärzte hätten bei der Aufnahme am Unfalltag auch lediglich den Alkohol im Blutserum gemessen, nicht hingegen die Blutalkoholkonzentration. Die sich aus den BAK-Richtlinien ergebenden Vorgaben für das Messverfahren (zwei unterschiedliche Messungen, Mittelwertbildung, Kontrollproben hinsichtlich Eignung der Geräte etc.) seien nicht eingehalten worden. Die Möglichkeit von Messfehlern sei durch die fehlende Wiederholung der Blutprobe in zeitlichen Abständen, den Umstand, dass die Blutentnahme nicht durch einen Arzt, sondern durch eine Krankenschwester erfolgt sei, und eine nicht auszuschließende Vertauschung oder Verunreinigung der Blutprobe nicht auszuschließen. Abgesehen hiervon führte der Kläger an, er sei trotz Alkoholisierung jedenfalls bewusstseinsklar gewesen, er sei insbesondere in der Lage gewesen, den Patientenbogen selbst in klarer Schrift auszufüllen und auch im Aufnahmebericht des Krankenhauses sei festgehalten „keine Bewusstseinsstörung“, „Patient orientiert“. Die Alkoholisierung könne sich also nicht ursächlich auf das Unfallgeschehen ausgewirkt haben, vielmehr sei er beim Besteigen des Fahrrads auf dem feuchten und deshalb rutschigen Pedal seines Rades ausgeglitten.

Ohne in die Beweisaufnahme einzutreten, wies das Landgericht Hanau die Klage nach informatorischer Anhörung ab. Zur Begründung führte es an, dem Kläger stehe ein Anspruch auf bedingungsgemäße Leistungen nicht zu, da der Versicherungsschutz aufgrund der alkoholbedingten Bewusstseinsstörung des Klägers im Unfallzeitpunkt ausgeschlossen gewesen sei. Aufgrund eines Blutalkoholgehalts von deutlich über 1,7 Promille – nämlich 2,43 Promille – sei er als Radfahrer absolut fahruntüchtig gewesen. An dem Ergebnis der von dem Krankenhaus vorgenommenen Blutuntersuchung zur Ermittlung des BAK-Wertes bestünden keine Bedenken. Zudem ergebe sich aus den konkrete Umständen (Sturz beim Aufsteigen auf das Fahrrad), dass der Alkoholkonsum des Klägers vorliegend zu einer Beeinträchtigung seiner Fahrtüchtigkeit geführt habe.

Dies wollte der Kläger so nicht auf sich sitzen lassen und erhob Berufung zum Oberlandesgericht Frankfurt am Main. Dieses gab dem Kläger in seinem Urteil 7 U 103/18 vom 12.06.2019 recht: Es liege ein wesentlicher Verfahrensmangel vor, da das Landgericht Hanau seine Entscheidung ohne die erforderliche Beweiserhebung getroffen habe, so die Richter des Oberlandesgerichtes in ihrer Entscheidung.

Um nämlich entscheiden zu können, ob der Unfall tatsächlich auf einen alkoholbedingten Ausfall zurückzuführen sei, müssten die erstinstanzlich vom Kläger als Zeugen benannten Rettungsdienstmitarbeiter sowie das Klinikpersonal aus der Notaufnahme einvernommen werden. Darüber hinaus müsse im Rahmen der Beweisaufnahme geklärt werden, wie aussagekräftig die im Rahmen der Krankenhausaufnahme genommene Blutprobe tatsächlich sei und welche möglichen Fehlerquellen sich hier ergäben. Zu diesem Zweck müssten die erstinstanzlich angebotenen Zeugen zur Frage der zeitnahen Verbringung sowie Art und Weise der Untersuchung der dem Kläger entnommenen Blutprobe angehört werden. Schließlich müsse auf Grundlage der hieraus gewonnenen Erkenntnisse noch ein Sachverständigengutachten zur Bestimmung des zugrunde zu legenden BAK-Wertes eingeholt werden. Der Sachverständige müsse dann auch zur Frage der alkoholbedingten Ausfallerscheinungen befragt werden. Jedenfalls lasse sich die dem angefochtenen Urteil zugrunde liegende Feststellung, der Kläger sei aufgrund eines Blutalkoholgehalts im Zeitpunkt des Unfalls von 2,43 Promille absolut fahruntüchtig gewesen, ohne diese Feststellungen nicht aufrechterhalten.

Eine Bewusstseinsstörung im Sinne der Ausschlussklausel gemäß Ziffer 5.1.1 AUB hänge nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes sowohl vom Ausmaß der gesundheitlichen Beeinträchtigung, der Aufnahme- und Reaktionsfähigkeit als auch von der konkreten Gefahrenlage ab, in der sich der Versicherte befindet (BGH, Urteil IV ZR 113/99 vom 17.05.2000). Sie setze deshalb nicht den Eintritt völliger Bewusstlosigkeit voraus, es genügten vielmehr solche gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Aufnahme- und Reaktionsfähigkeit des Versicherten, die die gebotene und erforderliche Reaktion auf die vorhandene Gefahrenlage nicht mehr zulassen, die also den Versicherten außerstande setzen, den Sicherungsanforderungen seiner Umwelt zu genügen. Eine solche Störung liege vor, wenn die dem Versicherten bei normaler Verfassung innewohnende Fähigkeit, Sinneseindrücke schnell und genau zu erfassen, sie geistig zu verarbeiten und auf sie angemessen zu reagieren, ernstlich beeinträchtigt sei. Sie müsse einen Grad erreicht haben, bei dem die Gefahrenlage nicht mehr beherrscht werden könne.

Grundsätzliche Bedenken an der Wirksamkeit der Alkoholklausel (Ziffer 5.1.1 AUB) bestünden nach Ansicht des OLG Frankfurt nicht. Jedenfalls beim Vorliegen einer absoluten Fahruntüchtigkeit im oberen Bereich bestünden gegen die Gleichsetzung mit einer Bewusstseinsstörung keine Bedenken.

Bei einem Radfahrer sei bei einer ordnungsgemäß festgestellten BAK von 1,7 Promille von dem zwingenden medizinischen Erfahrungssatz auszugehen, dass der Radfahrer absolut fahruntauglich und nicht mehr in der Lage sei, sein Rad sicher im Straßenverkehr zu führen. Es werde vorliegend zu klären sein, ob der hier ermittelte BAK-Wert überhaupt zugrunde gelegt werden könne, da er nicht nach standardisierten Regeln getroffen worden sei, die einen hinreichend sicheren Ausschluss möglicher Mess- und Berechnungsfehler gewährleistete. Beweisbelastet sei die Versicherung. Aus diesem Grund hob das Oberlandesgericht Frankfurt das erstinstanzliche Urteil des Landgerichts Hanau auf und verwies den Rechtsstreit an das Landgericht Hanau zurück, um dort die erforderliche Beweisaufnahme nachzuholen.

Fazit: Nicht immer kann sich die Unfallversicherung bei einem Unfall unter Alkoholeinfluss erfolgreich auf einen Leistungsausschluss nach der sogenannten Alkoholklausel berufen. Der Versicherer muss hierfür konkret darlegen und beweisen, welche Blutalkoholkonzentration zum Unfallzeitpunkt vorlag und wie sich die hieraus resultierende Bewusstseinsstörung auf das Unfallgeschehen ausgewirkt hat. Kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich der Unfall auch ohne Alkoholeinfluss ereignet hätte, bestehen gute Chancen, der Leistungsverweigerung der Unfallversicherung erfolgreich entgegenzutreten. Wenn die Unfallversicherung mit Verweis auf die sogenannte Alkoholklausel die Leistung verweigert, empfiehlt es sich, einen erfahrenen Fachanwalt für Versicherungsrecht mit der rechtlichen Prüfung zu beauftragen.

Jürgen Wahl, Rechtsanwalt, www.versicherungsrecht-offenbach.de

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