Private Unfallversicherung: Wann es sich lohnt, die Gutachten der Versicherung zu hinterfragen
Ein Blick in die Tabelle – und schon steht fest, wie hoch der Invaliditätsgrad eines Unfallopfers ist. Nach diesem Muster verfahren viele Sachverständige. Grund genug, ihren Gutachten mit einer gewissen Skepsis zu begegnen.
Wer nach einem Unfall bleibende gesundheitliche Beeinträchtigungen davonträgt, hat – je nach dem Grad seiner Invalidität – Anspruch auf mehr oder minder hohe Leistungen der privaten Unfallversicherung. Um ermitteln, wie schwer die Beeinträchtigungen sind, fordern die Gesellschaften vielfach Gutachten von Sachverständigen an, mit denen sie seit Jahren intensiv kooperieren.
Für die Kunden kann das zu einem Problem werden, vor allem, wenn sich die Gutachter bei ihrer Bewertung vornehmlich an den Tabellenwerken der medizinischen Fachliteratur orientieren, die bestimmte Bewegungseinschränkungen stets einem festen Wert zuordnen, individuelle Umstände des Falles aber (naturgemäß) nicht berücksichtigen können.
So war es auch in einem Fall, den vor einiger Zeit das Landgericht Krefeld zu entschieden hatte. Konkret ging es um eine Versicherungsnehmerin, die sich bei einem Skiunfall das rechte Sprunggelenk und das linke Schienbein gebrochen hatte. Die Verletzungen führten zu einer Innenrotationsfehlstellung des rechten Fußes um ca. 25 Grad. Außerdem leidet die Patientin seitdem unter Arthrose dritten Grades im linken Kniegelenk und einem dauerhaften Schmerzsyndrom.
Schmerzen und Funktionsbeeinträchtigungen müssen auch berücksichtig werden
Der medizinische Sachverständige, den die Unfallversicherung der Frau mit der Begutachtung des Falles beauftragt hatte, bewertete die Invalidität des Unfallopfers streng nach Tabelle und setzte einen Beinwert von 3/20 an.
Die Frau fand das nicht angemessen, nahm sich einen Rechtsanwalt und klagte. Im Rahmen des Verfahrens bestellte das Landgericht Krefeld einen unabhängigen medizinischen Sachverständigen. Auch er setzte nach der Fachliteratur zwar zunächst lediglich 3/20 Beeinträchtigung an, stellte auf Rückfragen jedoch klar, dass die üblichen Tabellenwerke sowohl Funktionsbeeinträchtigungen als auch die Schmerzen von Unfallopfern nur unzureichend abbilden.
Gericht entscheidet zugunsten der Versicherungsnehmerin
Für das Gericht war das Grund genug, die Versicherung zur Zahlung weiterer 32.500 Euro an die Kundin zu verurteilen. Aufgrund der zweifelsfrei vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen und der dauerhaften Schmerzen sei für das rechte Bein ein Invaliditätsgrad von 24 Prozent und für das linke Bein eine Beeinträchtigung von 10,5 Prozent anzusetzen (Az. 2 O 170/19).
Kommentar von Jürgen Wahl, Fachanwalt für Versicherungsrecht in Offenbach:
Die erfreuliche Entscheidung des Landgerichts Krefeld belegt einmal mehr, wie wichtig es ist, sich von den Ergebnissen der Gutachter nicht über Gebühr beeindrucken zu lassen – erst recht in Fällen, in denen der Sachverständige von der Versicherung beauftragt wurde und allein mit den Werten von Tabellenwerke operiert. Je nach Fall können die dort aufgeführten Invaliditätsgrade allenfalls als Mindestwert für die Versicherungsleistung verstanden werden.
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