Berufsunfähigkeitsrente trotz Knast – unklare Vertragsbedingungen gehen zulasten des Versicherers
Trotz Gefängnisstrafe darf sich ein Finanzberater auf eine monatliche Berufsunfähigkeitsrente freuen. Der Finanzberater hatte einen Kunden um mehrere hunderttausend Euro geprellt und wurde deshalb zu einer 18-monatigen Haftstrafe verurteilt.
Das gegen ihn eingeleitete Strafverfahren setzte den Finanzberater psychisch unter Stress. Auf eine Hausdurchsuchung folgte Untersuchungshaft. Hierauf begab sich der Finanzberater in psychologische Behandlung bei einem Psychotherapeuten. Dieser diagnostizierte eine leichte Anpassungsstörung. Als Folge der Inhaftierung ab Winter 2008 verschlechterte sich jedoch der Gesundheitszustand des Finanzberaters drastisch. Es manifestierte sich eine schwerwiegende psychische Erkrankung, aufgrund derer der Finanzberater seinen Beruf nicht weiter ausüben konnte. Zudem hatte der Finanzberater seinen Versicherungsvertrag bereits zum Februar 2009 gekündigt.
Den Leistungsantrag des Versicherungsnehmers auf Auszahlung einer Berufsunfähigkeitsrente lehnte der Berufsunfähigkeitsversicherer mit der Begründung ab, nicht die bereits vor der Inhaftierung aufgetretene psychische Erkrankung, sondern erst die Gefängnisstrafe selbst habe die Unfähigkeit, den zuletzt ausgeübten Beruf auszuüben, verursacht. Dieser Rechtsauffassung schloss sich auch das Landgericht in seinem erstinstanzlichen Urteil an.
Nicht so das Oberlandesgericht Karlsruhe. Dieses hob mit seiner Entscheidung 12 U 5/15 vom 03.03.2016 das Urteil der Vorinstanz auf und verurteilte den Versicherer zur Zahlung der vollen Berufsunfähigkeitsrente. Das Oberlandesgericht Karlsruhe ging davon aus, dass es vorliegend nicht darauf ankomme, ob bis zur Vertragsauflösung am 30. März 2009 eine schlechte Gesundheitsprognose gestellt werden konnte. Die zugrunde liegenden Versicherungsbedingungen seien mehrdeutig und intransparent. Aus diesem Grund müsse entsprechend der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes die für den Versicherungsnehmer günstigste Auslegungsvariante zugrunde gelegt werden. Für den Erhalt der Berufsunfähigkeitsrente reiche danach aus, dass der Kläger bis zur Beendigung des Versicherungsvertrages an einer psychischen Erkrankung litt, auch wenn die geforderte schlechte Gesundheitsprognose erst nach der Vertragsbeendigung gestellt werden konnte. Ausdrücklich widersprach der Senat zudem der Rechtsauffassung des Landgerichts, nach welcher die Versicherung schon aufgrund der Inhaftierung des Finanzberaters leistungsfrei sei. Entsprechende Ausschlussgründe fanden sich in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen des Versicherers nicht. Aus diesem Grund sei allein ausschlaggebend, dass eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit auch auf der psychischen Erkrankung beruhe.
Die Entscheidung zeigt, dass dem genauen Wortlaut des Versicherungsvertrages im Versicherungsrecht große Bedeutung beizumessen ist. Da bei einer Mehrdeutigkeit stets die für den Versicherungsnehmer günstigste Vertragsauslegung zugrunde zu legen ist, sollte der Vertragstext stets einer genauen Kontrolle unterzogen werden. Mehrdeutigkeiten im Vertragstext sind oft nur durch das geübte Auge eines routinierten Versicherungsrechtlers erkennbar.
Ihr Rechtsanwalt – Jürgen Wahl
Fachanwalt für Medizin- und Versicherungsrecht
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