Die schwierige Definition des Begriffs „Gebrechen“

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Im Laufe eines Lebens zieht der Mensch sich einige Blessuren zu. Doch darf ein Unfallversicherer die Leistung verweigern, weil die Unfallfolgen wegen solcher Vorschäden womöglich besonders schwerwiegend sind? Der Bundesgerichtshof betrachtet diese Frage differenziert.
Handwerk hat goldenen Boden – und ein hohes Verletzungsrisiko. Dieser Erfahrung machte auch ein Maler, der im Oktober 2013 einen 20 Kilo schweren Farbeimer auf eine Gerüstetage heben wollte. Der Mann verriss sich schmerzhaft den Arm – oder, um genauer zu sein, die Supraspinatussehne der rechten Schulter. Sie verbindet als Teil der Rotatorenmanschette den Oberarm mit Schulter und Rumpf und ist elementar dafür, dass ein Mensch seine Arme problemlos bewegen kann.
Der Mann meldete den Fall seiner Unfallversicherung, in deren Versicherungsbedingungen unter anderem zu lesen steht: „Als Unfall gilt/gelten auch, wenn durch eine erhöhte Kraftanstrengung an Gliedmaßen oder Wirbelsäule ein Gelenk verrenkt wird oder Muskeln, Sehnen, Bänder oder Kapseln gezerrt oder zerrissen werden.“
Allerdings erlauben es die Bedingungen der Unfallversicherung auch, dass Leistungen gekürzt werden, wenn „Krankheiten oder Gebrechen“ an einer unfallverursachten Gesundheitsschädigung mitgewirkt haben. Mit Blick darauf und unter Berufung auf ein von ihr in Auftrag gegebenes Gutachten verweigerte die Gesellschaft die Leistung. Die strukturelle Schädigung der Supraspinatussehne sei im konkreten Fall nicht auf das Anheben des Eimers zurückzuführen, sondern auf Vorschädigungen, die der Mann bei einem Rollerunfalls im Jahr 2002 erlitten habe.
Der verletzte Maler wollte das nicht hinnehmen und klagte sich durch alle Instanzen. Vor dem BGH erzielte er allerdings nur einen Teilerfolg (Az: IV ZR 125/18).

Nicht jeder Unfalls führt zu einer Leistungspflicht des Versicherers

Die Karlsruher Richter stellten zunächst klar, dass der Kläger unstreitig einen versicherten Unfall erlitten hatte, als er sich seinen Sehenriss zuzog. Ebenso unstreitig sei jedoch, dass die elf Jahre zuvor erlittene Vorschädigung die Verletzung mitverursacht habe.
Der Versicherungsschutz werde in einem solchen Fall zwar nicht zwangsläufig beschränkt. Bereits bestehende altersbedingte Verschleiß- und Schwächezustände blieben außer Betracht. Über den allgemeinen alterstypischen Verschleiß hinausgehende Vorschäden könnten aber sehr wohl zu einer Anspruchsminderung führen – und damit auch der elf Jahre zuvor erlittenen Unfall.
Die Klausel in den Versicherungs-Bedingungen, die das ermögliche, sei auch nicht intransparent. Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer könne sie so verstehen, dass Krankheiten und Gebrechen aufgrund früherer Unfälle grundsätzlich zu seinen Lasten gehen und zur Kürzung seiner Ansprüche führen.

Kommentar von Fachanwalt Jürgen Wahl:

Der BGH macht klar, dass Abnutzungs-, Verschleiß- oder Schwächeerscheinungen, die sich innerhalb des altersbedingten Normalzustands bewegen, Unfallversicherern keinen Freibrief dafür geben, im Fall der Fälle die Leistung zu verweigern. Damit müssen sich zum Beispiel Senioren, die unter Osteoporose leiden und deshalb ein höheres Risiko für Knochenbrüche haben, erst einmal keine Sorgen um ihren Versicherungsschutz machen. Etwas anderes gilt, wenn, wie im eben besprochenen Fall, eine sogenannte altersvorauseilende Vorschädigung vorliegt. Wann das der Fall ist, muss das Gericht – ggfls. Mithilfe eines Sachverständigengutachtens – in jedem Einzelfall gesondert entscheiden.

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