Herabsetzung des Krankentagegeldes bei gesunkenem Einkommen

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Die Krankentagegeldversicherung dient der Absicherung des Erwerbseinkommens bei Arbeitsunfähigkeit. Im Versicherungsfall zahlt der Krankenversicherer einen vertraglich vereinbarten Tagessatz (Krankentagegeld) an den Versicherungsnehmer. Damit der Versicherte bei einer Arbeitsunfähigkeit nicht besser gestellt wird, als wenn er seine berufliche Tätigkeit ausüben würde, vereinbaren viele Krankenversicherer mit ihren Versicherten ein Bereicherungsverbot, wonach das auf den Kalendertag umgerechnete Krankentagegeld das aus der beruflichen Tätigkeit herrührende Netto-Einkommen nicht übersteigen darf. Zur Berechnung des Netto-Einkommens wird üblicherweise der Durchschnittsverdienst der letzten zwölf Monate vor Antragstellung bzw. vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit zugrunde gelegt.

Darüber hinaus berufen sich viele Versicherer auf § 200 VVG in analoger Anwendung. Dort hat der Gesetzgeber geregelt, dass die Gesamterstattung aus einer oder mehreren Versicherungen die Gesamtaufwendungen nicht übersteigen darf. Dabei übersehen die Krankentagegeldversicherungen aber regelmäßig, dass es sich bei der Krankentagegeldversicherung nicht um eine Schadensversicherung, sondern um eine sogenannte Summenversicherung handelt. Das heißt, die Versicherungssumme wird nicht zur Kompensation eines bestimmten Schadens ausgezahlt, sondern es wird eine konkrete (vorher vertraglich festgelegte) Versicherungssumme pro Kalendertag für den Schadensfall erbracht. Zwar liegt eine abschließende Entscheidung des Bundesgerichtshofes zur Anwendbarkeit von § 200 VVG (analog) in der privaten Krankentagegeldversicherung bislang nicht vor, jedoch scheint es höchst fraglich, ob die Norm, die allein für die Schadensversicherung bestimmt ist, auch auf die Krankentagegeldversicherung angewendet werden kann.

Auch die von einigen Krankentagegeldversicherern verwendete vertragliche Regelung über die Herabsetzung des Krankentagegeldes und des Versicherungsbeitrages bei gesunkenem Netto-Einkommen hat der BGH nun mit seinem Urteil IV ZR 44/15 am 06.07.2016 für unwirksam erachtet. In § 4 MB/KT hatte der Krankenversicherer wie folgt geregelt:

„Umfang der Leistungspflicht…

  • Das Krankentagegeld darf zusammen mit sonstigen Krankentage- und Krankengeldern das auf den Kalendertag umgerechnete, aus der beruflichen Tätigkeit herrührende Netto-Einkommen nicht übersteigen. Maßgebend für die Berechnung des Netto-Einkommens ist der Durchschnittsverdienst der letzten zwölf Monate vor Antragstellung bzw. vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit, sofern der Tarif keinen anderen Zeitraum vorsieht.
  • Der Versicherungsnehmer ist verpflichtet, dem Versicherer unverzüglich eine nicht nur vorübergehende Minderung des aus der Berufsunfähigkeit herrührenden Netto-Einkommens mitzuteilen.
  • Erlangt der Versicherer davon Kenntnis, dass das Netto-Einkommen der versicherten Person unter die Höhe des dem Vertrag zugrunde liegenden Einkommens gesunken ist, so kann er ohne Unterschied, ob der Versicherungsfall bereits eingetreten ist oder nicht, das Krankentagegeld und den Beitrag mit Wirkung vom Beginn des zweiten Monats nach Kenntnis entsprechend dem geminderten Netto-Einkommen herabsetzen. Bis zum Zeitpunkt der Herabsetzung ist die Leistungspflicht im bisherigen Umfang für eine bereits eingetretene Arbeitsunfähigkeit nicht berührt.“

Weiter war in § 2 MB/KT wie folgt geregelt:

„2. Zu § 2 MB/KT 2009 Erhöhung des Versicherungsschutzes
Der Versicherer bietet den Versicherungsnehmern mindestens alle drei Jahre Gelegenheit, in den Krankentagegeldtarifen mit einem versicherten Krankentagegeld von mindestens 25 Euro, das vereinbarte Krankentagegeld zu erhöhen. Dabei wird die Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung zugrunde gelegt. Die Anpassung (Erhöhung) kann nur auf einem Formular des Versicherers beantragt werden. Dieses nennt dem Versicherungsnehmer die Höhe, bis zu der das Krankentagegeld angepasst werden kann, die Frist, innerhalb der der Antrag beim Versicherer eingehen muss, sowie den Zeitpunkt, zu dem die Anpassung in Kraft tritt. Sofern eine darüber hinausgehende Erhöhung des Netto-Einkommens (vgl. § 4 Abs. 2 MB/KT 2009) nachgewiesen wird, erfolgt diese Anpassung aufgrund der individuellen Entwicklung des Netto-Einkommens. Die Höhe des Krankentagegeldes darf das Netto-Einkommen nicht übersteigen. Erlangt der Versicherer davon Kenntnis, dass das versicherte Krankentagegeld höher ist als das Netto-Einkommen, gilt § 4 Abs. 4 MB/KT 2009.

Nimmt der Versicherungsnehmer an zwei aufeinanderfolgenden Leistungsanpassungen nicht teil, ohne dass ein Grund nach § 4 Abs. 2 MB/KT 2009 vorliegt, so erlischt der Anspruch auf künftige Leistungsanpassungen nach Abs. 1 dieser Vorschrift. Eine erneute Teilnahme kann zugelassen werden, wenn ein ärztliches Zeugnis über den Gesundheitszustand der zu versichernden Person vorgelegt wird.

Für Arbeitnehmer in einem festen Arbeitsverhältnis wird auch außerhalb des Dreijahreszeitraums bei einer Erhöhung des Netto-Einkommens auf Antrag des Versicherungsnehmers das vereinbarte Tagegeld entsprechend angepasst. Wirksam wird diese Anpassung zu dem Monatsbeginn, der dem Eintragseingang beim Versicherer folgt, frühestens jedoch zu Beginn des Monats, für den die Erhöhung des Netto-Einkommens gilt.

…Laufende Versicherungsfälle werden durch eine Anpassung nicht betroffen.“

In dem vom BGH entschiedenen Fall hatte der Kläger dem Versicherungsunternehmen im Jahr 2012 den Einkommensteuerbescheid vom 24. Februar 2012 für das Jahr 2010 vorgelegt. Der Krankentagegeldversicherer setzte daraufhin mit Schreiben vom 25. Juli 2012 den Tagessatz des Krankentagegeldes unter Hinweis auf § 4 Abs. 4 MB/KT mit Wirkung zum 1. September 2012 auf 62,00 Euro herab. Als das maßgebliche Netto-Einkommen legte der Versicherer die im Steuerbescheid ausgewiesenen Einkünfte des Klägers abzüglich der Einkommensteuer und zuzüglich der Versicherungsprämien für Kranken- und Pflegeversicherung zugrunde.

Der Bundesgerichtshof sah diese Klausel als intransparent an. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer könne ihr schon nicht mit der gebotenen Klarheit entnehmen, welcher Bemessungszeitpunkt und -zeitraum für den gebotenen Vergleich des dem Vertrag ursprünglich zugrunde gelegten mit dem gesunkenen Netto-Einkommen maßgeblich sein soll. Zudem lasse die Klausel offen, wie sich dieses Netto-Einkommen bei beruflich selbstständigen Versicherungsnehmern zusammensetzt. Auch von welcher Dauer eine Einkommensminderung nach Vertragsschluss sein müsse, um dem Versicherer die Anpassung nach § 4 Abs. 4 MB/KT zu ermöglichen, könne der durchschnittliche Versicherungsnehmer der Klausel nicht entnehmen. Selbst wenn er versuche, sich an dem Regelungszusammenhang zu orientieren, in dem die Anpassungsklausel gestellt sei und insofern die in § 4 Abs. 3 MB/KT geregelte Pflicht zur Anzeige einer Minderung seines Netto-Einkommens in den Blick nimmt, werde er zwar erkennen, dass eine nur vorübergehende, etwa auch saisonbedingte Minderung noch nicht genügen soll, vielmehr eine Prognose gefordert ist, die eine gewisse Dauer und Nachhaltigkeit der Einkommensminderung ergibt. Ihm werde aber auch in § 4 Abs. 3 MB/KT weder verdeutlicht, von welcher Dauer eine Einkommensminderung sein müsse, um seine Anzeigepflicht auszulösen, noch welcher in der Vergangenheit liegende Beobachtungszeitraum insoweit maßgeblich sein soll.

Selbst wenn aber der Versicherungsnehmer ungeachtet der bereits geäußerten Bedenken gegen die Transparenz des § 4 Abs. 2 MB/KT versuche, aus dem genannten Zeitraum von zwölf Monaten einen Anhalt für die Auslegung von § 4 Abs. 4 MB/KT zu gewinnen, erschließe sich ihm nicht, ob es für die Herabsetzung des Tagessatzes auf die letzten zwölf Monate vor einer Herabsetzungserklärung des Versicherers oder die letzten zwölf Monate vor dem Zeitpunkt ankommen soll, zu dem der Versicherer Kenntnis von einer Einkommensminderung erlangt hat oder ob der Versicherer im Rahmen des § 4 Abs. 4 MB/KT rückblickend jeden beliebigen Zwölfmonatszeitraum zum Anlass für eine Herabsetzung des Tagessatzes nehmen könne, soweit sich damit eine nicht nur vorübergehende Einkommensminderung des Versicherungsnehmers abbilden lässt.

Auch wie sich das Netto-Einkommen, welches die Grundlage der Vergleichsbetrachtung bilden solle, zusammensetzt, gehe aus dem Vertragstext nicht ausreichend deutlich hervor. Der Begriff sei in den Versicherungs- und Tarifbedingungen der Beklagten nicht eigenständig definiert und könne daher nur im Wege der Auslegung erschlossen werden. Der Begriff des Netto-Einkommens sei mit dem steuerlichen Einkommensbegriff nicht automatisch gleichzusetzen. Insbesondere könne nicht auf den allgemeinen Sprachgebrauch abgestellt werden, weil weitere Gesichtspunkte Zweifel an dieser Auslegung wecken könnten. Die Rechtssprache verbinde mit dem verwendeten Ausdruck „Netto-Einkommen“ keinen festen umrissenen Begriff. Auch die Tarifbedingungen enthielten keine näheren Erläuterungen, sodass dieser verwendete Begriff als intransparent und daher unwirksam anzusehen sei.

Aus diesem Grund sei die Klausel des § 4 Abs. 4 MB/KT unwirksam. Eine Lückenfüllung im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung scheide aus. Die vom Krankenversicherer vorgenommene Vertragsanpassung war daher unwirksam. Der Versicherte konnte Krankentagegeldleistungen in der versicherten Höhe beanspruchen und musste sich nicht mit einer Herabsetzung der Versicherungsleistung aufgrund des gesunkenen Netto-Einkommens vertrösten lassen.

Fazit: Bei längerer Arbeitsunfähigkeit versuchen die Krankentagegeldversicherer häufig, sich durch Verweis auf eine angeblich eingetretene Berufsunfähigkeit ihrer Leistungspflicht zu entziehen oder die Versicherungsleistungen herabzusetzen, indem sie behaupten, das Erwerbseinkommen sei vor dem Versicherungsfall abgesunken. Eine derartige Entscheidung sollte der Versicherungsnehmer stets kritisch hinterfragen. Häufig hält diese einer rechtlichen Prüfung nicht stand. Aus diesem Grund empfiehlt sich stets, einen Fachanwalt für Versicherungsrecht mit der Prüfung der Entscheidung der Versicherungen zu beauftragen.

Rechtsanwalt Jürgen Wahl

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