Was tun, wenn sich die Gutachter widersprechen?

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Wenn es um viel Geld geht, kommt es vor Gericht oft zum Schaulaufen der Sachverständigen. Doch welchem Gutachten muss das Gericht Glauben schenken, wenn unterschiedliche Experten zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen?
Ein Gutachter ist ein Mensch, der auf die Interessen seiner Auftraggeber besonders gut achtet. Über den Wahrheitsgehalt dieses Kalauers mag man sich streiten. Fakt ist jedoch, dass auch Fachleute bei der Beurteilung eines Sachverhaltes zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangen können – und dass diese unterschiedlichen Sichtweisen auch vor Gericht zu würdigen sind.
Das geht aus einem aktuellen Urteil des Bundesgerichtshofs hervor, der damit zugleich die Rechte von Kunden im Verhältnis zu ihrer Versicherung stärkte (BGH, Az. IV ZR 220/19).

Da geht doch noch was….

Die höchsten deutschen Zivilrichter mussten sich mit der Klage eines Mannes beschäftigen, der früher als Marktleiter zweier Supermarktfilialen gearbeitet hatte, seinen Job aber wegen einer psychischen Erkrankung nicht mehr ausüben konnte. Die Berufsunfähigkeit ist medizinisch bestätigt.
Zunächst hatte der Mann (ab Oktober 2010) eine regelmäßige Rente von seiner BU-Versicherung erhalten. Ab 2012 leitete die Gesellschaft jedoch mehrere Nachprüfungsverfahren ein. Im April 2014 bescheinigte ein psychiatrisches Gutachten dem ehemaligen Marktleiter, dass er wieder berufsfähig sei, da der Grad seiner Berufsunfähigkeit nun der notwendigen 50 Prozent für den Leistungsbezug läge. Daraufhin stellte die Gesellschaft die Rentenzahlungen ein und verlangte zudem, dass der Mann wieder regelmäßig Beiträge für seine Police zahlte.
Der Kunde wollte das nicht hinnehmen und gab seinerseits ein Gutachten in Auftrag. Die Sachverständige schlüsselte darin die Fähigkeiten auf, die der einstige Marktleiter in seinem zuletzt ausgeübten Beruf benötigte und schätze jeweils ein, wie stark seine prozentuale Einschränkung sei. Am Ende kam sie zu dem Ergebnis, dass der Mann weiterhin berufsunfähig sei.
Auf Basis dieser Einschätzung verlangte der Mann seine BU-Rente sowie die Freistellung von den Beiträgen. Der Fall wurde streitig – und schaffte es bis nach Karlsruhe, denn die Richter der Vorinstanzen hatten zum Teil allein das Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen in ihre Bewertung einbezogen, nicht jedoch das Privatgutachten, das der Kläger in Auftrag gegeben hatte. Dieses Vorgehen rügte der BGH.

Fehlende Berücksichtigung aller Gutachten verletzt rechtliches Gehör

Legt eine Partei ein medizinisches Gutachten vor, das im Widerspruch zu den Erkenntnissen des gerichtlich bestellten Sachverständigen steht, ist vom Tatrichter besondere Sorgfalt gefordert. Er dürfe den Streit verschiedener Sachverständigen nicht einfach dadurch entscheiden, dass er „ohne einleuchtende und logisch nachvollziehbare Begründung einem von ihnen den Vorzug gibt“.
Stattdessen seien die Einwände der Privatgutachten bzw. der sich widersprechenden Gutachten ernst zu nehmen; ihnen sei gezielt nachzugehen. Gegebenenfalls müsse das Gericht eigene Sachverständige unter Gegenüberstellung mit den Privatgutachtern anhören. Erst danach könne es entschieden, ob und inwieweit es tatsächlich den Ausführungen des eigenen Sachverständigen folgen wolle oder ob es nicht doch dem Privatgutachten den Vorzug gibt.

Kommentar von Fachanwalt Jürgen Wahl:

Die Entscheidung des BGH verschafft dem Versicherungsnehmer zwar noch keine Rechtssicherheit, da mit der Revision lediglich das Berufungsurteil aufgehoben und der Fall zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen wurde. Die Chancen, auf einen günstigen Ausgang haben sich jedoch deutlich erhöht, da das OLG das Privatgutachten nun berücksichtigen und entsprechend würdigen muss.

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