Wenn die KFZ-Versicherung mehr verspricht als sie hält…
Zu viel versprochen hatte ein Sachbearbeiter eines namhaften Versicherers seinem Versicherungsnehmer, der dort eine Kfz-Haftpflichtversicherung für sein Fahrzeug unterhielt. Der Tarif des Versicherungsnehmers sah neben dem Schadensfreiheitsrabatt eine weitere Rabattierung vor, sodass der Versicherungsnehmer in einer für ihn sehr günstigen Schadensklasse eingestuft war. Als sich der Versicherungsnehmer ein neues Fahrzeug anschaffen wollte, fragte er bei dem Versicherer an, ob diesem die gewährte Schadensfreiheitsklasse trotz des Fahrzeugwechsels erhalten bliebe. Der Sachbearbeiter bestätigte dies und übersandte dem Versicherungsnehmer ein Angebot für die Versicherung des Neufahrzeuges. Die Versicherungsbeiträge wurden in dem Angebot unter Zugrundelegung der für den Versicherungsnehmer günstigeren Schadensfreiheitsklasse, das heißt unter Berücksichtigung des auch für das frühere Fahrzeug gewährten Sonderrabatts berechnet.
Der Versicherungsnehmer nahm das Angebot, welches auch der zuvor getroffenen mündlichen Absprache entsprach, an, indem er hierunter seine Unterschrift leistete und dieses an den Versicherer zurücksandte.
Umso erstaunter war er, als er schließlich Post von der Versicherung erhielt und die Sendung nicht den erwarteten Versicherungsschein enthielt. Stattdessen hatte der Versicherer eine geänderte Versicherungspolice ausgefertigt, für deren Beitragsberechnung er nicht die zuvor besprochene Schadensfreiheitsklasse zugrunde gelegt hatte. Den Sonderrabatt, den er noch für das frühere Fahrzeug des Versicherungsnehmers zugrunde gelegt hatte, hatte er einfach unter den Tisch fallen lassen. In der Folgezeit stellte der Versicherer dem Versicherungsnehmer trotz dessen schriftlichen und telefonischen Protests die höheren Versicherungsbeiträge ohne Berücksichtigung des Sonderrabatts in Rechnung.
„So geht’s nicht!“, urteilte das Amtsgericht Seligenstadt in seinem Urteil 1 C 988/14 (3) vom 23.06.2015. Es erteilte der Rechtssicht der Versicherung eine klare Absage, die das Angebot nicht als verbindlich ansehen wollte. Nach Argumentation der Versicherung läge lediglich eine sogenannte „invitatio ad offerendum“, also eine Aufforderung zur Abgabe eines Angebots vor, welches für die Versicherung nicht verbindlich gewesen sei. Das Angebot enthielt jedoch „sämtliche wesentliche Vertragsbestandteile, hierbei insbesondere die relevante Einstufung in die Typklasse 23 einschließlich des präzise sich hieraus ergebenden Jahresbeitrags“, weshalb der klagende Versicherungsnehmer sehr wohl von einem verbindlichen Angebot ausgehen durfte, so das Gericht. Auch die im Formular verwendete Passage „diese und die abzugebende Einwilligungserklärungen sind Vertragsbestandteil und werden mit geleisteter Unterschrift wirksam“ ließen nach Ansicht des Gerichts allein den Schluss zu, dass der Vertrag wie dort ausgeführt bereits mit geleisteter Unterschrift des Klägers wirksam zustande gekommen sei. Ebenso lasse sich die weitere Passage oberhalb der Unterschrift, wonach das „Einverständnis erklärt wird, dass der Versicherungsschutz bereits vor Ablauf der Widerrufsfrist beginnt“ objektiv allein so verstehen, dass der Vertrag nicht erst durch Übersendung des Versicherungsscheines, sondern bereits durch Unterschriftsleistung zustande gekommen sei.
Selbst wenn man vorliegend aber der Argumentation des Versicherers folgen und in dem Versicherungsschreiben noch kein rechtsverbindliches Angebot sehen wollte, würde dies nach Ansicht des Amtsgerichts Seligenstadt nichts an der Sachlage ändern. Nach § 5 Abs. 2 Ziffer 2 VVG muss der Versicherer nämlich, sollten sich Abweichungen zum Antrag ergeben, bei Übermittlung des Versicherungsscheins darauf hinweisen, dass diese Abweichungen als genehmigt gelten, wenn der Versicherungsnehmer nicht innerhalb eines Monats nach Zugang des Versicherungsscheins in Textform widerspricht. Der Gesetzgeber fordert insoweit einen „auffälligen Hinweis“ im Versicherungsschein. Einen solchen auffälligen Hinweis im Sinne des § 5 Abs. 2 Ziffer 2 VVG habe der Versicherer vorliegend jedoch nicht erteilt. Der erteilte Hinweis entspreche nicht den gesetzlichen Anforderungen, so das Gericht. Zwar sei der Hinweis durch eine Umrandung des Textes hervorgehoben, dies sei jedoch nicht deutlich genug. So werde bereits nicht klar, was sich genau geändert habe und welche Rechtsfolge sich hieraus ergebe. Der konkrete Hinweis auf die geänderte Schadensfreiheitsklasse und die sich hieraus konkret ergebenden finanziellen Konsequenzen ergebe sich erst bei gezielter Suche einige Seiten später in nicht exponierter Stelle.
Zudem habe der Kläger gegen diese Abweichungen fristgerecht und wirksam Widerspruch im Sinne des § 5 Abs. 2 Ziffer 1 VVG eingelegt. Aus diesem Grund sei der Versicherungsvertrag mit dem ursprünglich angebotenen Schadensfreiheitsrabatt der Schadensfreiheitsklasse 23 zustande gekommen und nicht etwa (wie der Versicherer behauptete) zu den geänderten Konditionen mit der Schadensfreiheitsklasse 5. Infolge musste der Versicherer die zu viel geleisteten Versicherungsbeiträge an den Versicherungsnehmer zurückerstatten.
Ihr Rechtsanwalt – Jürgen Wahl
Fachanwalt für Medizin- und Versicherungsrecht
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