Der feine Unterschied zwischen „zweckdienlichen“ und „notwendigen“ Behandlungen
Kassenpatienten erhalten Standardmedizin, Privatversicherte alles, was sie wollen? Wie falsch dieses weit verbreitete Vorurteil ist, belegt einmal mehr ein aktuelles Urteil.
Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung sind es gewohnt, beim Arzt mitunter zuzahlen müssen. Der Grund: „Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind“, dürfen sie weder beanspruchen, noch dürfen AOK & Co. sie bewilligen. So steht es im Gesetz.
Anders stellt sich die Rechtslage im Bereich der privaten Krankenversicherung dar. Strikte gesetzliche Leistungsbeschränkungen sucht man hier vergebens. Eine Insel der Seligen ist das private Lager allerdings nicht – denn auch die dort geltenden bestimmte Einschränkungen, etwa über Versicherungsbedingungen. Sie erweisen sich vielfach als Hemmschuh für die Kostenübernahme einzelner Leistungen. Das belegt eine aktuelle Entscheidung des Amtsgerichts Unna (Az. 16 C 103/20)
Krebsverdacht: Welche Diagnostik zahlt die private Krankenversicherung?
Im konkreten Fall ging es im einen Mann, der seit dem Jahr 1993 Kunde einer privaten Krankenversicherung ist. Sein Tarif umfasste sowohl die Erstattung allgemeiner Krankenhausleistungen als auch die Bezahlung von beleg- und wahlärztlichen Leistungen in Höhe von 100 Prozent. Zudem waren über den Standard hinausgehende Voruntersuchungen vom Vertrag erfasst.
Wegen eines abklärungsbedürftiger Befundes, der den Verdacht auf Prostatakrebs nahelegte, riet ihm sein Arzt, eine durch eine Magnetresonanztomografie (MRT) gestützte Biopsie vornehmen zu lassen. Zur Vorbereitung des Eingriffs führte ein Medizinisches Versorgungszentrum die Untersuchung durch. Die Klinik, die die Biopsie am Ende vornehmen wollte, monierte allerdings, diese MRT sei qualitativ nicht gut genug und schob den Mann noch einmal in die Röhre. Und tatsächlich zeigte diese zweite MRT eine weitere karzinomverdächtige Stelle.
Damit allerdings war die Diagnostik noch nicht abgeschlossen. Um den betroffenen Bereich erfolgreich operieren zu können, entschieden sich die Ärzte zu einer weiteren Bildgebung und fertigten zusätzlich zur zweiten MRT noch eine Computertomographie (CT) an.
Als der Patient die Rechnungen der Klinik bei seiner Assekuranz einreichte, weigerte diese sich, die Kosten zu übernehmen. Sie begründete ihre Ablehnung damit, dass weder die zweite MRT noch das CT medizinisch notwendig gewesen seien. Der Mann klagte, erzielte aber vor dem Amtsgericht Unna nur einen Teilerfolg.
Differenzierte Betrachtung durch den Gutachter
Um den Fall entscheiden zu können, holte Gericht ein onkologisches und ein radiologisches Sachverständigengutachten ein und entschied auf deren Grundlage:
Das Ergebnis: Anders als von der Versicherung behauptet war die zweite MRT medizinisch notwendig, da sie nach den objektiv medizinischen Befunden und wissenschaftlichen Erkenntnissen – zum Zeitpunkt der Behandlung – vertretbar war. Entsprechend müsse die Assekuranz die Kosten übernehmen.
Kein Erstattungsanspruch bestand nach Meinung des Gerichts indes für die zusätzlich durchgeführte Computertomographie. Eine solche Untersuchung sei wegen eines ungewöhnlichen Zugangsweges der durchgeführten Prostata-Biopsie zwar zweckdienlich und in technischer Sicht auch für die weitere Behandlung geeignet. Allerdings gebe es keine allgemein verbindlichen wissenschaftlichen Publikationen und Stellungnahmen, die die Notwendigkeit eines solchen Vorgehen untermauere. Auch die medizinischen Leitlinien sähen ein CT nicht vor. Die schiere Zweckdienlichkeit eine Untersuchung reiche aber nicht aus, um die Notwendigkeit im Sinne der Versicherungsbedingungen annehmen zu können.
Der Versicherer musste daher nur die Kosten für eine Prostata-MRT und die außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten übernehmen (Az. 16 C 103/20).
Fazit von Jürgen Wahl, Rechtsanwalt für private Krankenversicherung
Über die Frage, ob eine Leistung medizinisch notwendig ist, lässt sich im Einzelfall trefflich streiten. Im Bereich der privaten Krankenversicherung ist sie jedenfalls dann zu bejahen, wenn es nach den objektiv medizinischen Befunden und wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Zeitpunkt der Behandlung vertretbar war, die betreffende Leistung als medizinisch notwendig anzusehen. Die reine Zweckdienlichkeit einer Untersuchung hingegen reicht nicht aus, um die medizinische Notwendigkeit im Sinne der Versicherungsbedingungen zu begründen.
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