Schwammige Klausel: Kunde erhält doppelte Rente von Berufsunfähigkeitsversicherung
Nachversicherungsgarantien sollen Versicherten im Ernstfall eine bessere BU-Rente sichern – ohne neue Gesundheitsprüfung. Doch wann genau muss die Gesellschaft die erhöhte Summe zahlen? Dazu hat sich nun der Bundesgerichtshof geäußert.
Wer sicherstellen will, dass er im Fall eine Berufsunfähigkeit (BU) auch in Zeiten steigender Inflationsraten gut versorgt ist, kann entweder eine Dynamik oder eine Nachversicherungsgarantie in den Vertrag einbauen.
In einem Fall, den nun der Bundesgerichtshof (BGH) entscheiden musste, hatte ein Kunde die zweite Variante gewählt und mit seiner Gesellschaft eine Nachversicherungsgarantie vereinbart. Dieses Instrument ermöglicht es, den Versicherungsumfang zu einem späteren Zeitpunkt ohne erneute Risikoprüfung zu erhöhen. Der Vertrag kam im Jahr 2009 zustande.
Wer rechnen kann, ist klar im Vorteil
Am 29. Juli 2016 erlitt der Kläger einen Arbeitsunfall. Er ist seither nicht mehr arbeitsfähig.
Am 11. Oktober 2016 beantragte er– unter Berufung auf die Nachversicherungsgarantie – die Erhöhung seines Versicherungsschutzes um 100 Prozent. Diese Erhöhung bestätigte ihm die Gesellschaft mit einem Nachtrag zum Versicherungsschein vom 18.10.2016. Die neuen Rahmenbedingungen sollten demnach ab dem 01.11.2016 gelten.
Im Dezember 2016 beantragte der Mann dann seine BU-Rente. Die Versicherung erkannte diese im September 2017 auch an. Allerdings zahlte die Gesellschaft nur die vormals vereinbarte Rente von 500 Euro pro Monat und nicht die im Nachtrag vereinbarte doppelt so hohe Summe. Der Versicherte wollte das nicht hinnehmen. Er klagte und bekam Recht.
Ausschlaggebend eine Passage im Versicherungsvertrag, die den Begriff der Berufsunfähigkeit definierte. Dort hieß es:
„Vollständige Berufsunfähigkeit liegt vor, wenn die versicherte Person infolge Krankheit, Körperverletzung, … 6 Monate ununterbrochen außerstande war oder voraussichtlich 6 Monate ununterbrochen außerstande ist, ihren zuletzt ausgeübten Beruf, so wie er ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgestaltet war, auszuüben.“
Berufsunfähigkeit erst nach Ablauf der Sechs-Monats-Frist
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Urteil vom 14.07.2021 zugunsten des Kunden entschieden (Az. IV ZR 153/20). Er befand: Die fragliche Klausel regele zwei Alternativen des Versicherungsfalls. Die erste („sechs Monate ununterbrochen außerstande war“) erfordert eine rückschauende Betrachtung, die erst nach Ablauf des dort genannten Sechsmonatszeitraums möglich ist. Die zweite Variante („voraussichtlich sechs Monate ununterbrochen außerstande ist“) ist hingegen in die Zukunft gerichtet.
Laut dem BGH ergibt eine Auslegung der ersten Alternative, dass der Versicherungsfall erst mit Ablauf der sechs Monate eingetreten ist und dem Kunden damit die erhöhte Rente zusteht.
Das Berufungsgericht hatte die Klausel noch dahingehend interpretiert, dass in beiden Varianten von einem Eintritt des Versicherungsfalls mit Beginn des Sechs-Monats-Zeitraums auszugehen sei. Dieser Rechtsauffassung hat der BGH nun zugunsten des Versicherten widersprochen.
Kommentar von Jürgen Wahl, Fachanwalt für Versicherungsrecht in Offenbach:
Das Urteil ist zu begrüßen. Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie sie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen kann. Versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse muss er dafür nicht mitbringen. Daher ist es zutreffend, hier auf den Wortlaut abzustellen und im Sinne des Versicherungsnehmers zu entscheiden.
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