Unfallversicherung muss auch bei Vorschäden Invaliditätsentschädigung leisten

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Eine private Unfallversicherung kann bei Vorliegen einer Invalidität die Invaliditätsentschädigung nicht mit Verweis auf Vorschäden ablehnen, so der BGH in einer Entscheidung aus 2016 (Az. IV ZR 521/14).

Ehrenamtliche Übungsleiterin stürzt – der Sachverhalt

Bei einer Kinderturnstunde in einem Sportverein stürzte 2009 die Übungsleiterin unglücklich auf den Rücken. Sie verspürte heftige Schmerzen im Rücken und konnte einige Tage später weder alleine aus dem Bett aufstehen noch auf dem linken Bein stehen. Bei einer Untersuchung wurde festgestellt, dass sie an einer Vorwölbung der Bandscheibe (Bandscheibenprotrusion) und einer Verengung des Wirbelkanals (Spinalkanalstenose) im Bereich der Lendenwirbelsäule leidet.

Versicherung lehnt wegen Vorerkrankungen Invaliditätsleistung ab

Durch diesen Vorfall behielt die Übungsleiterin eine verminderte Belastbarkeit und Beweglichkeit des Rumpfes zurück und leidet ständig an Schmerzen im Lendenwirbelbereich. 2011 wollte die Übungsleiterin wegen der anhaltenden Beeinträchtigungen ihre private Unfallversicherung in Anspruch nehmen. Diese lehnte den Schaden jedoch ab, da von einem Gutachter nicht die Unfallfolgen als Ursache für die Beeinträchtigung gesehen wurde, sondern Vorerkrankungen.

Klage blieb zunächst erfolglos

Die Übungsleiterin klagte gegen diese Versicherungsentscheidung. Das Landgericht Tübingen und das Oberlandesgericht Stuttgart lehnten ebenfalls die Leistung der Versicherung ab. Während der Gerichtsverfahren hatte ein weiterer Gutachter erkannt, dass nicht die Verengung des Wirbelkanals oder die Vorwölbung des Wirbels die Beschwerden verursachen, sondern eine Arthrose eines Facettengelenks. Facettengelenke werden auch Wirbelbogengelenke genannt und verbinden die unteren Gelenkfortsätze des einen Wirbels mit den oberen Gelenkfortsätzen eines anderen Wirbels. Alles in allem bestätigten das LG und das OLG die Entscheidung, weil altersbedingte Vorschäden vorliegen würden und die Beschwerden damit nicht durch den Unfall bedingt wären.

Übungsleiterin legte Revision – wie der BGH entschied

Zu guter Letzt ging die Übungsleiterin gegen die Entscheidung des OLG vor dem Bundesgerichtshof (Az. IV ZR 521/14) in Karlsruhe in Revision. Ihrer Meinung nach, hatte das Unfallereignis mindestens Mitschuld an den danach aufgetretenen Beschwerden. Grundsätzlich gab der BGH der Klägerin in ihrer Ansicht Recht und sprach die Versicherungsleistung zu.

Mitursächlichkeit des Unfallhergangs ist ausreichend

Die Ursächlichkeit – oder Kausalität – des Unfallhergangs ist für die Beschwerden der Klägerin zu bejahen, da die Kräfte, die durch den Unfall gewirkt haben, die Beschwerden erst ausgelöst haben. Auch wenn eine Vorschädigung, die bisher weder entdeckt noch Beschwerden verursacht hat, vorliegt, muss hier mit einer ausreichenden Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass der Zusammenhang zwischen Unfall und Invalidität grundsätzlich gegeben ist.

Ursachenzusammenhang zwischen Unfall und Invaliditätsfolgen muss gegeben sein

Juristen bezeichnet diesen Zusammenhang zwischen Unfall und Invaliditätsfolgen als Adäquanz. Die Adäquanz ist erforderlich, um Invaliditätsentschädigungen einer privaten Unfallversicherung, die die Folgen einer Invalidität ausgleichen soll, zu erhalten. Von einem Vorliegen dieses Zusammenhangs ist aber schon dann auszugehen, wenn die Mitwirkung durch den Unfall nicht gänzlich außerhalb aller Wahrscheinlichkeit steht. Das heißt, wenn die Folgen des Unfalls zu dem Unfallhergang passen, muss die Versicherung leisten. Es ist dabei egal, ob der Unfall alleine verantwortlich oder nur eine Mitursächlichkeit gegeben ist.

Versicherungsleistungen sind bei Vorschädigung nicht gänzlich ausgeschlossen

Das Erfordernis des Vorliegens dieses Ursachenzusammenhangs (Adäquanzerfordernis) bezweckt gerade nicht, dass die Folgen von Vorerkrankungen von privaten Unfall- und Invaliditätsversicherungen ausgeschlossen sein sollen. Der Versicherungsnehmer wird aus den Klauseln der Versicherung nämlich schließen, dass auch bei Mitwirkung von Krankheiten Versicherungsschutz genießt. Denn für den Versicherungsnehmer ist es egal, ob eine Unfallfolge eine vor dem Unfall vorhandene Erkrankung verschlimmert oder eine neue Erkrankung hervorruft.

Was der Fachanwalt dazu sagt:

Hier ging es darum, dass die Versicherung nicht leisten wollte, weil die Klägerin bereits gesundheitlich vorgeschädigt war ohne davon Kenntnis zu haben. Es kam der Versicherung gerade nicht darauf an, ob sich diese Vorerkrankung bereits bemerkt gemacht hat. Die Tatsache, dass die Klägerin vorgeschädigt war, schloss für die Versicherung eine Invaliditätsentschädigung aus.
Dieses Ergebnis wäre schwer zu vermitteln gewesen, denn erst durch den Sturz wurden die Beschwerden bemerkbar und haben das bisher „stumme“ Krankheitsbild erst ausgelöst und verschlimmert. Allerdings gab es zwei Gerichte, die sich dieser im Ergebnis sehr schwer zu vermittelnden Ansicht der Versicherung angeschlossen haben.
Hätte eine solche Ansicht Bestand, könnten sich Versicherung in noch weit mehr Fällen von ihrer Leistung freimachen, da sie sich mit der Behauptung, die unfallbedingten Beschwerden seien auf Verschleißerscheinungen zurückzuführen, dem Adäquanzerfordernis entledigen könnten. Ab einem bestimmten Alter der Geschädigten könnten somit viele Unfallschaden abgelehnt werden.

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