Verdachtsdiagnosen: Was Kunden ihren Versicherungen offenbaren müssen – und was nicht
Wieviel Ehrlichkeit können Versicherer von ihren Kunden verlangen? Und wo endet die Offenbarungspflicht, gerade in gesundheitlichen Fragen? Diese Abgrenzung macht in der Praxis immer wieder Probleme.
Ob private Krankenversicherung, Risikolebensversicherung oder Berufsunfähigkeitsversicherung: Etliche Versicherungen zahlen die vereinbarte Leistung erst bei ernsthaften gesundheitlichen Problemen eines Kunden (oder gar nach dessen Tod).
Um ihre Risiken abschätzen zu können, führen die Gesellschaften im Vorfeld des Vertragsschlusses daher einen mehr oder minder umfassenden Gesundheitscheck durch. Wer hier schwindelt und auffliegt, riskiert im Ernstfall Leistungskürzungen und/oder den Verlust seines Versicherungsschutzes.
Schweigen ist (nicht immer) Gold
Doch wann genau kann man einem Kunden vorwerfen, seine vorvertraglichen Anzeigepflichten verletzt zu haben? Diese Frage beschäftigt die Gerichte immer wieder.
So auch im Fall einer Frau, die im Jahr 2013 Leistungen ihrer Dread-Disease-Versicherung in Anspruch nehmen wollte, nachdem sie an Multipler Sklerose erkrankt war. Bei der Meldung des Leistungsfalls wies sie die Versicherung zudem darauf hin, dass sie bereits im Jahr 2005 (dem Jahr des Vertragsschlusses) im Rahmen eines Krankenhausaufenthaltes auf Multiple Sklerose untersucht worden sei. Das wisse sie aber erst seit ihrer Behandlung im Jahr 2013.
Der Versicherer wollte sich daraufhin vom Vertrag lösen, weil die Frau falsche Angaben zu ihrem Gesundheitszustand gemacht habe. Die Kunden bestritt das, zog vor Gericht verlangte, den Versicherungsvertrag unverändert fortzuführen. Mit Erfolg.
Wer nicht fragt, bleibt dumm
Das Oberlandesgericht (OLG) Hamm befand, dass der Versicherer den Vertrag weder durch Anfechtung wegen arglistiger Täuschung noch Rücktritt wegen Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht beenden konnte (Az. 20 U 26/15): Der Kundin sei im konkreten Fall keine Anzeigepflichtverletzung anzulasten. Sie müsse nur solchen Gefahrumständen offenbaren, nach denen der Versicherer in Textform gefragt habe. Dies sei vorliegend aber nicht der Fall gewesen.
Zudem sei die Frau auch nicht verpflichtet gewesen, den ihr gegenüber geäußertem (aber unbestätigten) Verdacht auf Multiple Sklerose anzugeben. Etwas anderes könne nur gelten, wenn es um so seltene und fernliegende Sachverhalte gehe, dass man dem Versicherer eine fehlende Abfrage nicht vorwerfen könne.
Der Versicherungsvertrag blieb daher erhalten und die Kundin erhielt ihre vertraglich vereinbarten Leistungen.
Kommentar von Jürgen Wahl, Fachanwalt für Versicherungsrecht:
Streitigkeiten um die Reichweite der Obliegenheiten von Versicherungsnehmern sind häufig. Umso erfreulicher ist es, dass das OLG Hamm in seiner Entscheidung klargestellt hat, dass eine unbestätigte Verdachtsdiagnose nicht anzuzeigen ist – schon gar nicht, wenn der Versicherer nicht danach gefragt hat. Das es aber nach wie vor keine einheitliche Linie gibt, wann ausnahmsweise doch eine „spontanen Anzeigeobliegenheit“ bestehen kann, sollten Kunden in Zweifelsfällen möglichst früh die Dienste eines spezialisierten Rechtsanwaltes in Anspruch nehmen.
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