Nicht jede Obliegenheitsverletzung führt zur Leistungsfreiheit
Wenn eine Immobilie über längere Zeit leer steht, erhöht dies das Risiko eines möglichen Gebäudeschadens. Aus diesem Grund sehen fast alle Gebäudeversicherer vor, dass der Versicherungsnehmer nicht genutzte Gebäude oder Gebäudeteile genügend häufig zu kontrollieren und dort alle wasserführenden Anlagen und Einrichtungen abzusperren, zu entleeren und entleert zu halten hat (vgl. § 11 Nr. 1c VGB 2008). Verletzt der Versicherungsnehmer diese Obliegenheit, so ist der Versicherer nach § 6 VVG zur Kündigung des Versicherungsvertrages berechtigt. Darüber hinaus kann eine solche Obliegenheitsverletzung auch im Schadensfall zur Leistungsfreiheit führen (§ 11 Nr. 2 VGB 2008) Leistungsfreiheit tritt jedoch nicht ein, wenn die Verletzung weder auf Vorsatz noch auf grober Fahrlässigkeit beruht.
In einem jüngst vom Oberlandesgericht Frankfurt am Main entschiedenen Fall (Urteil 7 U 12/22 vom 11.05.2023) konnte sich eine demente und altersschwache Klägerin nicht mehr selbst um ihre Immobilie kümmern. Die als Betreuerin bestellte Tochter fungierte daher spätestens seit Auszug der Versicherungsnehmerin im Mai 2015 als deren Risikowalterin. Das Haus blieb dann für knapp zwei Jahre (bis September 2017) unbewohnt. Nach einer kurzen Mietzeit stand das Gebäude dann wieder von Anfang Juni 2018 leer, wobei die wasserführenden Leitungen weder entleert noch abgestellt worden waren.
Am 18.07.2018 stellte die Tochter der Versicherungsnehmerin dann einen erheblichen Wasserschaden fest, wobei sich im Nachgang nicht mehr rekonstruieren ließ, wann genau das Wasser ausgetreten war. Der Wasseraustritt war nämlich nicht auf ein frostbedingtes Platzen der Leitungen oder einen plötzlichen Rohrbruch zurückzuführen. Ursache war vielmehr, dass im Badezimmer ein unter den Fliesen unterhalb des Waschbeckens verlaufendes Kupferrohr einen feinen Riss aufwies, aus dem kontinuierlich Wasser ausgetreten war. Auch der beauftragte Sachverständige sprach von einer Leckage aufgrund von Korrosion.
Die SparkassenVersicherung, bei der die Klägerin eine Gebäudeversicherung für die Immobilie unterhielt, lehnte eine Regulierung des Schadens ab. Nach Ansicht der SparkassenVersicherung stehe fest, dass das Haus jedenfalls während drei Heizperioden leer gestanden habe und wasserführende Leitungen in der kalten Jahreszeit nicht abgesperrt und entleert gewesen seien. Dieses stelle einen groben Verstoß gegen die im Verkehr erforderliche Sorgfalt dar. Angesichts des langen Zeitraums über mehrere Heizperioden sei ausnahmsweise auch eine Kürzung der Versicherungsleistungen auf 0 gerechtfertigt.
Gegen diese Ablehnung der Gebäudeversicherung erhob die Versicherungsnehmerin Klage zum Landgericht Hanau. Dort stieß sie jedoch auf taube Ohren. Das Landgericht wies die Klage mit Urteil 9 O 1273/19 vom 25. Januar 2022 ab und sah die Leistungskürzung der SparkassenVersicherung als rechtens an.
Hiergegen wandte sich die Tochter der inzwischen verstorbenen Versicherungsnehmerin mit ihrer Berufung zum Oberlandesgericht Frankfurt am Main. Dieses hob mit Urteil 7 U 12/22 vom 11. Mai 2023 die erstinstanzliche Entscheidung des Landgerichts Hanau auf und verurteilte die SparkassenVersicherung, den Gebäudeschaden vollumfänglich zu regulieren. Die Leistungskürzung sei rechtsgrundlos erfolgt.
Soweit eine Obliegenheitsverletzung vorliege, müsse diese rechtsfolgenlos bleiben, da die SparkassenVersicherung nach Einführung des neuen Versicherungsvertragsgesetzes im Jahr 2008 von der Vertragsanpassung gemäß Artikel 1 Abs. 3 EG VVG keinen Gebrauch gemacht habe. Hintergrund dieser Regelung ist, dass der Versicherungsnehmer jederzeit die Konsequenzen eines möglichen Fehlverhaltens kennen muss. So muss der Versicherer den Versicherungsnehmer in den Versicherungsbedingungen darüber aufklären, welche Rechtsfolgen eine Obliegenheitsverletzung nach sich ziehen kann. Da die Versicherungsbedingungen der SparkassenVersicherung veraltet waren und eine nachträgliche Anpassung nicht erfolgt war, könne sich die Gebäudeversicherung auch trotz einer möglichen grob fahrlässigen Verletzung vertraglichen Obliegenheiten nicht auf ein Leistungskürzungsrecht gemäß § 28 Abs. 2 S. 2 VVG berufen.
Nicht ausgeschlossen hingegen sei eine mögliche Leistungsfreiheit aufgrund einer Verletzung gesetzlicher Obliegenheiten gemäß § 81 Abs. 2 VVG (so BGH, Urteil IV ZR 199/10 vom 12.10.2011).
Nach § 11 Nr. 1c VGB 88 habe der Versicherungsnehmer nicht genutzte Gebäude oder Gebäudeteile genügend häufig zu kontrollieren und dort alle wasserführenden Anlagen und Einrichtungen abzusperren, zu entleeren und entleert zu halten. Dabei seien diese Pflichten nicht auf die kalte Jahreszeit beschränkt und kumulativ zu erfüllen. Es könne dahinstehen bleiben, ob die gelegentlichen Besuche der Klägerin und diejenigen der beauftragten Zeugin genügend häufige Kontrollen dargestellt haben, da jedenfalls die weitergehende Pflicht (Absperren und Entleeren der wasserführenden Leistungen) unstreitig nicht erfüllt worden sei. Trete der Versicherungsfall ein, weil der Versicherungsnehmer trotz dringender Gefahr die ihm möglichen, geeigneten und zumutbaren Maßnahmen zum Schutz des versicherten Objekts nicht ergriffen habe, so habe er den Versicherungsfall durch Unterlassen herbeigeführt. Denn er habe das ursächliche Geschehen in der Weise beherrscht, dass er die Entwicklung und die drohende Verwirklichung der Gefahr zuließ, obwohl er die geeigneten Mittel zum Schutze des versicherten Interesses in der Hand gehabt habe und bei zumutbarer Wahrnehmung seiner Belange davon ebenso Gebrauch habe machen können.
Als wesentlich sah das Oberlandesgericht vorliegend aber an, dass der Versicherungsnehmer das zum Versicherungsfall führende Geschehen gekannt haben muss. Nur dann setze sich der Versicherungsnehmer, der es durch Untätigkeit zum Eintritt des Versicherungsfalles habe kommen lassen, mit Inanspruchnahme der Versicherungsleistung regelmäßig ebenso treuwidrig in seinem eigenen Verhalten in Widerspruch, wie derjenige, der den Versicherungsfall durch positives Tun herbeigeführt habe (so auch BGH, Urteil IV ZR 219/03 vom 23.06.2004; BGH, Urteil II ZR 29/74 vom 01.04.1976). Dies bedeutet, der Versicherungsnehmer müsse diejenigen Umstände gekannt haben, aus denen sich ergebe, dass der Eintritt des Versicherungsfalls in den Bereich der praktisch unmittelbar in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten gerückt sei. Dabei müsse die Wahrscheinlichkeit des Schadeneintritts – und zwar gerade die des eingetretenen Schadens – so offenkundig groß sein, dass es ohne Weiteres nahegelegen habe, zur Vermeidung des Schadenfalls ein anderes Verhalten als das tatsächlich geübte in Betracht zu ziehen.
Dies sei im vorliegenden Fall nicht ersichtlich und auch nicht hinreichend dargelegt worden. Der Wasseraustritt sei nicht auf ein frostbedingtes Platzen der Leitung oder einem plötzlichen Rohrbruch zurückzuführen. Die Ursache sei nach dem unstreitigen Vortrag der Klägerin vielmehr, dass ein im Badezimmer unter den Fliesen unterhalb des Waschbeckens verlaufendes Kupferrohr einen feinen Riss aufwies, der durch Korrosion verursacht wurde. Es habe sich mithin um ein verborgenes Geschehen gehandelt, von dem die Klägerin – da unter den Fliesen liegend – keine Kenntnis gehabt haben könne, bis das aus dem beschädigten Rohr austretende Wasser nach außen gedrungen sei. Aus diesem Grunde lehnte das Oberlandesgericht eine fahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalles nach § 81 Abs. 2 ZPO ab. Auf Leistungsfreiheit könne sich die SparkassenVersicherung nicht berufen.
Für die Klägerin bedeutet dies, dass sie nun, vier Jahre nach dem eigentlichen Schadensereignis, endlich mit der Wiederherstellung beginnen kann. Die aufgrund der Steigerungen des Baupreis-Index inzwischen deutlich gestiegenen Wiederherstellungskosten wird die SparkassenVersicherung zu tragen haben.
Der vorliegende Fall zeigt, dass es sich auch bei zunächst ausweglos scheinender Ausgangslage lohnt, um sein Recht zu kämpfen. Keinesfalls sollte die Leistungsentscheidung der Versicherung ungeprüft hingenommen werden. Nur in seltenen Ausnahmefällen kann sich die Versicherung auf eine vollständige Leistungsfreiheit berufen. Die komplexen Fallgestaltungen im Versicherungsrecht erfordern eine genaue Rechtskenntnis. Aus diesem Grund sollte bei einem abgelehnten Gebäudeschaden stets ein Fachanwalt für Versicherungsrecht zurate gezogen werden.
Jürgen Wahl, Rechtsanwalt
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