Warum es sich lohnt, fragwürdige Gutachten anzugreifen
Wann ist ein Sachverständiger ungeeignet für seinen Job? Und müssen Versicherte gegen sie gerichtete sprachliche Entgleisungen in einem Gutachten einfach hinnehmen? Das Oberlandesgericht Brandenburg hat dazu eine erfreuliche Entscheidung getroffen.
Nach Jahren im Beruf leidet eine Physiotherapeutin immer mehr unter körperlichen Beschwerden. Allem voran macht ihr ihr Rücken zu schaffen. Sie beantragt daher eine Berufsunfähigkeitsrente (BU-Rente) bei ihrer Versicherung. Der Fall landet vor Gericht – und vor einem Sachverständigen, der die gesundheitlichen Beschwerden der Frau evaluieren soll.
Das Ergebnis des Gutachtens ist aus Sicht der Versicherungskundin sehr unerfreulich. Sie richtet daher etliche Nachfragen an den Sachverständigen – unter anderem zum Umfang der Untersuchungen sowie zu deren Inhalt und den Ergebnissen.
Das wiederum scheint dem Gutachter nicht zu gefallen. Offensichtlich in seiner Berufsehre gekränkt, geht er auf die Fragen und „völlig unsinnigen Behauptungen“ der Frau in wenig sachlicher Weise ein. Unter anderem äußert er in seiner Antwort spitz, dass Befunde eben nicht gleich Befinden seien. Diese Tatsache sei in jedem Lehrbuch der Orthopädie dargestellt, nicht jedoch bei ‚Dr. Google‘“.
Zudem macht er sich über die Versicherte lustig, indem er anmerkt, dass es „Bandscheibenexkursion(en)“ nicht gebe. Es sei schwer vorstellbar, dass Bandscheiben Ausflüge unternehmen. Übersehen hat der Mann bei seiner Spitze nur leider, dass der fehlerhafte Begriff „Bandscheibenexkursion“ statt des korrekten Begriffs „Bandscheibenextrusion – (Bandscheibenvorfall)“ von ihm selbst verwendet worden war und die Versicherte den Lapsus lediglich übernommen hat.
Angesichts des wenig professionellen Tons entstanden bei der Frau erhebliche Zweifel bezüglich der Unbefangenheit des Gutachters. Sie stellte daher einen Befangenheitsantrag.
Wie viele Spitzen sind erlaubt?
In erster Instanz hatte sie damit keinen Erfolg. Das Landgericht räumte zwar ein, dass die Wortwahl des Sachverständigen überspitzt war. Alles in allem habe er den Bezug zur Sachlichkeit aber nicht verlassen. Hiergegen erhob die Frau Beschwerde zum Oberlandesgericht (OLG) Brandenburg – mit Erfolg (Az. 11 W 12/22).
Das Gericht entschied: Sprachliche Entgleisungen sowie beleidigende, abqualifizierende oder sonstige unsachliche Äußerungen, die sich nicht in kritischen Bemerkungen erschöpfen und in Richtung einer Partei gerichtet sind, sind in aller Regel geeignet, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des gerichtlichen Sachverständigen zu rechtfertigen. So auch im vorliegenden Fall.
Es sei nachvollziehbar, dass die Äußerungen des Gutachters bei der Versicherten die Befürchtung erweckten, der Sachverständige habe ihr Vorbringen nicht ernst genommen und qualifiziere es ab. Auch sei der Eindruck der persönlichen Betroffenheit entstanden, weil der Gutachter emotional überempfindlich auf zwar harte, aber keineswegs unsachliche Kritik an seiner Einlassung reagiert habe.
Das Verfahren wurde daraufhin auf Basis eines neuen Gutachtens zur Berufsunfähigkeit von einem anderen Sachverständigen fortgesetzt. Am Ende erkannte die Versicherung den Anspruch der Klägerin in vollem Umfang an.
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