Berufsunfähigkeitsversicherung: Was gilt, wenn der Versicherte mehrere Jobs hat?
Um zu bestimmen, ob ein Kunde berufsunfähig ist, kommt es nicht nur darauf an, in welchem Job er bislang gearbeitet hat. Auch die Frage, wieviel Zeit er für seine berufliche Tätigkeit aufgewendet hat, kann wichtig werden.
Berufsunfähigkeitsversicherungen sind normalerweise verpflichtet, ihren Kunden die vereinbarte Rente zu zahlen, wenn diese
- „voraussichtlich 6 Monate ununterbrochen infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, außerstande
- oder bereits 6 Monate ununterbrochen außerstande gewesen sind, ihren Beruf auszuüben.“
Übt der Kunde auch keine andere Tätigkeit aus, die seiner bisherigen Lebensstellung entspricht, so gilt dieser Zustand von Beginn an als vollständige Berufsunfähigkeit.
Diese, alles andere als griffigen Vorgaben, führen in der Praxis immer wieder zu gerichtlichen Auseinandersetzungen zwischen Kunden und ihrer Berufsunfähigkeitsversicherung. So auch in einem Fall, den vor Kurzem das Oberlandesgericht (OLG) Schleswig zu entscheiden hatte (Az. 16 U 86/21).
Mehrere Jobs mit unterschiedlicher Belastungsintensität
Konkret ging es um einen Mann, der unter einer rezidivierenden depressiven Störung und krankhaft schlechter Laune (Dysthymie) litt. Da er sich außerstande sah, in diesem Zustand weiterzuarbeiten, verlangte er von seiner Versicherung die Zahlung einer Berufsunfähigkeitsrente. Allerdings war die Schwere der Erkrankung alles andere als offenkundig. Zudem war es im konkreten Fall nicht ganz einfach, die „zuletzt ausgeübte berufliche Tätigkeit“ des Mannes zu bestimmen, da er mehreren Jobs nachging.
Zum einen hatte er in der Sommersaison an zwei bis drei Tagen pro Woche etwa fünf bis acht Stunden pro Tag in der Küche eines Restaurants gearbeitet. Von April/Mai bis Oktober war er zudem zwei bis drei Tage pro Woche im Service tätig. Darüber hinaus verdingte er sich ganzjährig für zwei bis vier Stunden pro Tag in einer Hausverwaltung – an fünf Tagen pro Woche.
Schwierige Berechnung
Der Versicherungsnehmer hielt sich für berufsunfähig, da er höchstens noch eine Stunde und 45 Minuten als Koch und eine Stunde pro Tag in der Hausverwaltung arbeiten könne, also insgesamt 2 Stunden 45 Minuten. Bei Annahme von durchschnittlich 2,5 Arbeitstagen pro Woche als Koch und durchschnittlich 6,5 Arbeitsstunden ergebe sich eine mittlere Wochenarbeitszeit von 16,25 Stunden. Das sei – verteilt auf eine Fünf-Tage- Woche eine Arbeitszeit von 3,25 Stunden pro Tag.
Dieser Rechenmethode zur Ermittlung der Berufsunfähigkeit folgte das Gericht allerdings nicht. Sie sei vorliegend nicht interessengerecht. Bei der Beurteilung, ob der Versicherte bedingungsgemäß berufsunfähig geworden sei, sei stets die zuletzt in gesunden Tagen ausgeübte Tätigkeit zugrunde zu legen. Und zwar so, wie sie sich nicht nur in inhaltlicher, sondern auch in zeitlicher Ausprägung darstellt. Nicht abzustellen sei daher auf die durchschnittliche Anzahl von Arbeitsstunden bei einer fiktiven Fünf-Tage-Woche. Maßgebend seien vielmehr die tatsächlich an einzelnen Wochentagen geleistete Anzahl von Arbeitsstunden. Nur so lasse sich die Belastung des Versicherten beurteilen.
Belastungsspitzen müssen berücksichtigt werden
Ein Erwerbstätiger, der trotz seiner Krankheit werktäglich eine gleichbleibende, relativ geringe Stundenzahl arbeiten kann, könne trotzdem dauerhaft gehindert sein, an einer geringeren Anzahl von Tagen pro Woche jeweils länger zu arbeiten. Das gelte insbesondere dann, wenn auch gegen Ende der längeren Arbeitszeit besondere Belastungsfaktoren wie Zeitdruck hinzukommen. Diese, durchaus kundenfreundliche Herangehensweise half dem Versicherten im konkreten Fall allerdings nicht.
Da er nach Überzeugung des Sachverständigen trotz seiner psychischen Probleme in der Lage war, fünf Mal pro Woche für zwei Stunden pro Tag in der Hausverwaltung zu arbeiten und zusätzlich am selben Tag jeweils viereinhalb Stunden als Koch bzw. im Service sein Geld zu verdienen, verneinte das Gericht eine Berufsunfähigkeit.
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